Wegsegeln

Es ist soweit. Wir haben uns spontan entschlossen, Brynja in ihren neuen Heimathafen nach Vlissingen zu bringen.
Die Wetterlage ist einfach zu schön, Tag für Tag zuverlässig nördliche bis nordöstliche Winde mit Stärken von 3 bis 5. Dazu vorwiegend sonniges Wetter, was will man mehr?

Fr., 02.06.2023

Heute bringe ich das Auto nach Vlissingen, das ist der entspannte Teil des Tages.

Die Rückfahrt zu planen, zu organisieren und zu bezahlen ist einfach. Das geht ganz simpel mit der niederländischen OV9292-App. Normalerweise klappt es in den Niederlanden auch mit der praktischen Umsetzung viel besser als in Deutschland. Heute nicht so ganz, was wohl auch an meiner Unerfahrenheit in solchen Dingen liegt.
Der Bus bringt mich zu einem Vorortbahnhof von Vlissingen, wo ich meinem Zug gerade noch nachwinken kann.

Ganz nett hier, aber lieber säße ich im Zug.

Sa., 03.06.2023, 08.45 – 15.20
Lemmer – Den Oever, 28 sm

Bye bye IJsselmeer.

Wir starten mit eher schwachen östlichen Winden, gutes Frühstückswetter.

Aber auch gutes Mückenwetter, das wird uns nicht fehlen.

Nachmittags dreht der Wind auf NNO 4. Das und die nicht passende Gezeit lässt uns nur bis Den Oever segeln. Jedenfalls ein schönes Sommersegeln und – wie so oft – ordentlich Wind auf der Zielgerade, wenn man ihn gar nicht mehr braucht. Der Hafen ist noch ziemlich leer, erst abends füllt er sich mit Texelfahrern.

So., 04.06.2023, 09.40 – 12.15
Den Oever – Den Helder, 13 sm

Wir segeln heute nur bis Den Helder und von dort morgen mit der passenden Strömung weiter. Diesmal brauchen wir für die Schleuse die übliche Dreiviertelstunde. Wir sind fast die einzigen in diese Richtung, in Gegenrichtung ist viel los.


Nach Den Helder ist es nur ein Katzensprung, aber schönes Sommersegeln mit dem gewohnt kalten Wind. Nachmittags geht der Wind auf 5 hoch, auch daran gewöhnen wir uns. Im Hafen des Königlichen Marineyachtclubs merkt man noch nichts von Saison.

Wir tanken voll und gehen ausgiebig spazieren.

Mo., 05.06.2023, 09.15 – 15.25
Den Helder – IJmuiden, 37 sm

Nun geht es richtig los. Frühestens eine Stunde nach Hochwasser hat man auslaufenden Strom, der uns bis IJmuiden schieben soll. Der Wind startet schlapp aus nördlichen bis nordöstlichen Richtungen. Das bringt mich auf den verwegenen Gedanken, den Furl auszuprobieren. Wir haben in Lemmer eine passende Leine gekauft, aber noch nicht angebracht. Ich meine, das könnten wir auch unterwegs hinkriegen. Jetzt sofort zum Beispiel. Regine hat leichte Zweifel an meiner Realitätsnähe, denn die 60 qm müssen ausgewickelt werden. Dann muss die Leine am oberen Ende zu einem Auge geformt und zusammengenäht werden. Nähen kann Regine gut. Anschließend muss die Leine ohne die geringste Verdrehung parallel zum Vorliek nach unten geführt werden. Dort wird sie mit einem Knoten befestigt. Für Knoten bin ich zuständig. Das Segel ist länger als das Boot überhaupt lang ist, so dass die Aktion einen besonderen Charme bekommt.


Aber irgendwie kriegen wir es hin. Spontane unmögliche Aktionen können wir am besten. Mit ein bisschen Feinjustierung der Leinenspannung bekommen wir das erträumte Ergebnis. Der Furl lässt sich tadellos ein- und ausrollen.


Zur Feier des Tages backt Regine Crepes.

Platt vor dem Wind segeln wir Schmetterling, die Niederländer haben dafür den schönen Ausdruck vlindern.

Vorbei geht es an den üblichen Ferienorten.


Selbst profane Baggerschiffe sehen heutzutage futuristisch aus, mit einem richtigen Gesicht.


Abwechselnd bekämpfen wir das Fresskoma mit einer Mittagsruhe.


Während Regine ruht werde ich ein wenig übermütig. Mit Furl und vollem Großsegel vlindern wir bei fünf Windstärken prächtig dahin. Die Logge zeigt 8 und 9 Knoten, eigentlich können wir nur sieben. Wenn wir schneller als mit Rumpfgeschwindigkeit vlindern traue ich dem Autopiloten nicht mehr, außerdem macht steuern dann besonders Spaß. Regine kennt die Anzeichen bei mir und rechnet mit Stress. Recht hat sie. Als der Wind bis auf 6 hochgeht ist das Bergen zumindest des Furls höchst überfällig. Ich rufe Regine hoch, aber natürlich ist der Druck auf die Segel mittlerweile viel zu hoch. Wir haben ungefähr zwei muskulöse Arme zu wenig. Mit einer Hand an der Pinne und einer an der Rollleine des Furls kann das nicht gutgehen. Regine ist mit der Schot des Furls gut ausgelastet. Jedenfalls kann ich nicht verhindern, dass der Furl backschlägt. Der Motor muss ohne Vorglühen ran, aber er ist brav. So können wir in den Wind gehen und den Furl einrollen. Was soll ich sagen, es klappt selbst unter diesen Umständen perfekt. Härtetest bestanden.
Den Rest der Strecke segeln wir nur mit Großsegel und das ist eigentlich schon reichlich Segelfläche. Wir bergen es erst innerhalb der Molen, denn davor steht hier traditionell eine unangenehme Hackwelle. Einmal mehr bewährt sich die Segelniederholerleine des Großsegels, niemand muss aus dem Cockpit raus.

Es ist noch früh, wir machen einen langen Spaziergang zum nicht all zu belebten Strand und bis zum Kopf der Pier. Da sind hier an die drei Kilometer pro Strecke.


Am Strand haben nur die windorientierten Wassersportler Spaß.


Auch hier ist im Hafen kaum etwas los. Den beliebten Längssteg am Hafeneingang gibt es nicht mehr. Er war besonders beliebt als Endlichangekommenunderstmalirgendwiefestmachensteg.

Das Wetter wie heute hat sich zum Standard entwickelt. Viel Sonne, N-NO, vormittags mit 3-4, nachmittags mit 5+. Perfektes Expresswetter, wenn man nach Süden oder Westen will und das zuverlässig Tag für Tag.


Di., 06.06.2023, 09.05 – 13.35
IJmuiden – Scheveningen, 27 sm

Weiter geht es, wieder nur ein Katzensprung. Das übliche Wetter, der Wind kommt uns sehr kalt vor. Nach den Erlebnissen von gestern machen wir faules Genuasegeln und kommen immer noch schnell genug voran. Nur eben nicht so lustvoll.

Für Scheveningen ist es die letzte Möglichkeit, der Hafen ist ab morgen für Besucherboote wegen einer Großregatta gesperrt.


Besonders fällt mir im Hafen dieses Boot auf. Es ist die alte Gipsy Moth IV, mit der Chicester 1966 die Welt umrundet hat. Ich wusste gar nicht, dass sie doch noch vor dem Verfall gerettet worden ist.

Mi., 07.06.2023, 08.10 – 16.30
Scheveningen – Roompot, 49 sm

Angesichts des Wetters bleiben wir dem faulen Genuasegeln treu. Der Wind ist wieder bitterkalt. So viele Schichten Kleidung hatten wir schon seit vielen Jahren nicht mehr an.


Ansonsten ist es ideales Seniorensegeln, einschließlich einer Verkehrslücke bei der Querung vom Maasmond.


Selbst die Schleuse Roompot spielt mit, in einer Viertelstunde sind wir durch. Wir übernachten in der Roompot-Marina, weil wir uns ausgiebig warmduschen wollen.

Do., 08.06.2023, 09.25 – 13.35
Roompot – Vlissingen, 24 sm

Endspurt, nur eben um die Ecke im Seniorengenuamodus. Diesmal können wir gleich in die Schleuse fahren und sind nach fünf Minuten durch.
Es geht wieder vorbei an bekannten Badeorten wie z.B Domburg.


Um die Ecke, das ist hier Westkapelle mit seinen markanten Merkmalen, dem Leuchtturm und dem Panzer auf dem Deich.


Zwischen Westkapelle und Vlissingen bieten uns die höchsten Dünen Hollands zunehmend Windschutz.


Schließlich sind wir vor „unserer“ Hafeneinfahrt.


Das freundliche Personal der Brasserie besorgt auch die Bedienung der Fußgängerbrücken und die Hafenmeistertätigkeiten.


In Vlissingen ist Sommer pur, wir passen uns schnell an.

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